Bist du kreativ? Und was ist Kreativität überhaupt? Manchmal höre ich den Satz „Ich bin nicht kreativ.“ Das ist eine Art Selbstdefinition. Andere definieren sich hingegen durchaus als kreativ; und wieder andere werden als kreativ definiert: „Katja ist immer so kreativ.“ Und Leon dann wohl nicht? Wie leicht kann es passieren, dass Kreativität bei sich selbst oder anderen gar nicht als solche definiert und wahrgenommen wird.
Was bedeutet Kreativität für dich?
Mach hier einen Moment Pause und notiere dir drei verschiedene Punkte (Wörter oder Sätze), die für dich Kreativität ausdrücken, bevor du weiterliest.
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Was ist Kreativität?
Gibt es eine einzige, korrekte Definition von Kreativität, die andere Definitionen eindeutig ausschließt? Natürlich nicht:
- Kreativität ist vielschichtig und komplex und schwer zu definieren.
- Sie zeigt sich auf unterschiedliche Weise in verschiedenen Lebensbereichen.
- Sie wird von Menschen individuell subjektiv wahrgenommen
- und in verschiedenen Kulturen ganz unterschiedlich gesehen.
- Was heute als kreativ gilt, kann morgen Mainstream sein.
- Disziplinen wie Psychologie, Philosophie, Neurowissenschaften, Pädagogik oder Kunsttheorie nähern sich dem Thema jeweils anders.
Wie könnte man sie also definieren?
Neues erschaffen
- die Fähigkeit, neue und originelle Ideen, Lösungen oder Ausdrucksformen zu entwickeln,
- Bestehendes auf unkonventionelle Weise kombinieren oder
- Neues zu schaffen – sei es in der Kunst, in der Wissenschaft, in der Technik oder im Alltag.
Dabei geht es nicht nur um „künstlerisches Schaffen“, sondern auch darum, Probleme auf kreative Weise zu lösen, Denkgewohnheiten zu durchbrechen und innovativ zu handeln. Kreativität ist also nicht nur ein Talent, sondern oft auch eine Frage der Haltung, Offenheit und Übung.
Kreativität beschränkt sich aber nicht darauf, etwas völlig Neues oder radikal Originelles zu erschaffen.
Wir neigen dazu, nur kreative, höchst produktive und berühmte Genies als wirklich kreativ zu sehen; diejenigen, die ein Feld maßgeblich geprägt haben und deren Name in die Geschichte einging. Bach, Beuys, Goethe.
Doch auch sie haben auf den Schultern anderer gestanden, sich an dem orientiert, was vor ihnen kam und bestimmte Rahmenbedingungen gehabt. Und viele wurden zu Lebzeiten nicht anerkannt.
Dinge kombinieren und Lösungen finden
Aber Menschen sind als Gattung kreativ: Wir denken uns etwas im Kopf aus und setzen es dann um. Wir imaginieren und erschaffen. Einen Kuchen, ein Fest, einen Blogartikel, eine Unterrichtsstunde, ein Spiel. Fotografieren. Eine Wochenplanung fürs Essen machen. Eine Predigt schreiben.
Wir kombinieren Dinge neu miteinander. Wir erfinden eine neue Lösung. Wir nutzen unseres geistigen Kräfte.
Siehst du dich als kreativ?
Immer dann, wenn du etwas nicht genau tust, wie du es sonst immer schon getan hast, sondern dir etwas Neues überlegst, wie du die Menschen unterstützen kannst, denen du hilfst, wie du ein Essen machst – jedes Mal bist du kreativ.
Wie wir die Welt sehen
Für mich ist Kreativität, etwas zu erschaffen. Zum Beispiel ein Foto zu machen, einen Text dazu zu schreiben und das Ganze als Postkarte zu verschicken. Einen Raum zu gestalten. Oder etwas zu basteln. Auch Witze machen und kommunizieren ist kreativ.
Du musst nicht in der Künstlersozialkasse gemeldet sein, um dich als kreativ betrachten zu dürfen.
Du kannst auch einen sozialen, geistigen oder einen Handwerksberuf haben und trotzdem kreativ sein. Du kannst kreativ sein in den von dir gefundenen Lösungen, egal in welchem Bereich.
Du triffst eine Auswahl. Du triffst Entscheidungen. Du gestaltest etwas. Das ist zugleich kreativ und achtsam.
Es ist schön, auf etwas Unerwartetes zu stoßen und es bewusst wahrzunehmen. Das Blogbild oben zeigt mich in der Küche, wie ich Wasser trinke. Ich entdeckte, was für entzückende Lichtspiele die Sonne mit dem Wasserglas erzeugte. Ich nahm mir die Zeit, es zu fotografieren. Ist es jetzt kreativ? War es vorher kreativ, ehe ich es fotografiert habe? Oder bevor ich es gesehen habe?
Es war einfach ein besonderer kleiner Moment, mit einem Zauber versehen. Hier ein Kurzvideo:
Was macht uns kreativ?
Natürlich sind in der Praxis manche Menschen kreativer als andere. Manche haben vielleicht wirklich schon eine höhere Verknüpfungsfähigkeit des Gehirns mitgebracht als andere. Diese Unterschiede gibt es, aber sie sind nicht absolut.
Es kommt dann noch darauf an, ob man in einem kreativen Umfeld aufwächst, das einen ermutigt zu experimentieren.
Die weitere Entwicklung hängt davon ab, wie sehr unser Beruf oder Umfeld verlangt, dass wir eigenständig arbeiten und Entscheidungen treffen, oder ob ein reines Abarbeiten und Erfüllen fester Vorgaben erwartet wird.
Kreativität lässt sich außerdem trainieren. Damit gemeint ist eine hohe Verknüpfungsfähigkeit und divergentes Denken – nicht konform, sondern pfiffig, abweichend, neu. Wie viele Ideen auf dieselbe Frage fallen dir ein? Je mehr Ideen, als desto kreativer gilt jemand.
Neu auf Dinge blicken
Wir könnten Kreativität auch als die Fähigkeit auffassen, auf dieselbe Frage immer neue Antworten zu finden.
Wir könnten sie aber sogar so auffassen, dass wir die Frage infrage stellen und neue Fragen stellen, die zu ganz neuen Blickwinkeln und Lösungen führen.
Die Psychologin Ellen Langer zum Beispiel hat viele kreative Forschungsprojekte durchgeführt, um immer wieder den Status Quo zu hinterfragen. Zum Beispiel vertauschte sie auf Gemälden die Namen und ließ sie bewerten, und siehe da: Immer das Bild mit dem berühmteren Namen wurde von den Probanden toll gefunden, unabhängig vom Bild.
Außerdem definierte sie ein Bild von einem Pferd um, das sie malte: Versehentlich hatte sie die Pferdebeine teils vor und teils hinter dem Zaun dargestellt. Doch sie beschloss, dass das auch nicht schlechter ist als andere Bilder. Mit ihren naiven Gemälden von Hunden an der Bar feiert sie Erfolge.
Sie ist umso kreativer, als sie die Sache völlig locker und ohne Leistungsangst betrachtet, mit einer Art Kobolds-Humor. Es macht ihr einfach Spaß zu malen – und die Maßstäbe in Frage zu stellen.
Die Kunst zu sein
Für Rick Rubin, Autor des Buchs „Kreativ. Die Kunst zu sein“ ist Kreativität eine neue Art zu sein. Er arbeitet mit berühmten Leuten im Musikbusiness und hilft ihnen, ihre bestmögliche Arbeit abzuliefern, zum Beispiel mit Adele und Er schreibt:
„Jeder Mensch ist ein Schöpfer. All jene, die sich nicht mit traditionellen Kunstformen befassen, tun sich womöglich schwer, sich als Künstler oder Künstlerin zu bezeichnen. Sie sehen die Kreativität als etwas Außergewöhnliches an, das jenseits ihrer Fähigkeiten liegt, als Berufung weniger Auserwählter, die mit bestimmten Begabungen zur Welt gekommen sind.
Zum Glück ist das nicht der Fall.
Kreativität ist keine seltene Fähigkeit und gar nicht schwer zugänglich. Kreativität ist ein grundlegender Aspekt des Menschseins. Sie ist unser Geburtsrecht und wir alle tragen sie in uns.
Bei Kreativität geht es nicht ausschließlich um das Hervorbringen von Kunst. Wir alle sind tagtäglich kreativ.
Etwas zu erschaffen bedeutet, etwas ins Sein zu bringen, das vorher noch nicht da war. Das könnte ein Gespräch sein, die Lösung zu einem Problem, eine Nachricht an eine Freundin, das Umstellen von Möbeln in einem Raum, die Wahl eines anderen Heimwegs, um so einen Stau zu vermeiden.
Was du erschaffst, muss nicht bezeugt, festgehalten, verkauft oder hinter Glas geschützt werden, um ein Kunstwerk zu sein. Schon allein durch unser ganz gewöhnliches Dasein sind wir Schöpfer im tiefsten Sinne, denn wir erschaffen unsere Erfahrungen der Wirklichkeit und gestalten die Welt, die wir wahrnehmen.“
Sein Buch besteht aus freundlichen, nachdenklichen Essays, die gut tun und Türen öffnen.
Viele kreative Prozesse bauen auf bereits existierendem Wissen und Inspiration auf. Es geht nicht immer um das „große Neue“, sondern auch darum, Dinge auf eine persönliche, frische oder unerwartete Art zu sehen und auszudrücken.
Verschiedene Arten, kreativ zu sein
Julia Cameron lehrt in ihrem weltberühmten Buch „Der Weg des Künstlers“ die Kunst, kreativ zu sein. Mit Essays und Übungen baut sie die Hemmungen vor dem eigenen kreativen Schaffen ab, recht spielerisch, oft fast therapeutisch. Wer sich der Kreativität annähern will, kann vielleicht von dem Buch profitieren.
Wenn du es probieren willst – „musst“ du jedes Essay lesen und jede Übung machen? Natürlich nicht. Du selbst triffst die Auswahl. Es geht nur um inspirierende Perspektiven und Erfahrungen.
Wie siehst du Kreativität jetzt? Hast du Neues erfahren, das du in deinem Weltbild ausprobieren möchtest? Nenne drei Punkte (oder vier oder zwei): 😄
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Umarmen wir unsere einzigartige Weise, unser wunderbares menschliches Gehirn immer wieder neu zu benutzen und mit unserem unverwechselbaren Blick in die Welt zu sehen. Umarmen wir zauberhafte Momente in der Kunst zu sein. Das ist kreativ genug.
Wikipedia
Hier der Link zum entsprechenden Wikipedia-Eintrag.