Doppelstrategie gegen Jobstress: Warum Entspannungsbäder nicht reichen [Dauerstress Teil 1]

Wir haben ein Problem mit Angst und Spannung in unserer Gesellschaft. Die verschiedenen Krisen, das Einprasseln von Meldungen und Meinungen in den Medien, unsere zahlreichen Rollen und Wünsche, die oft schwer vereinbar sind. Und der Jobstress. Gerade im Job entstehen krasse Spannungszustände.

Die möchte ich heute einmal beleuchten und einen Vorschlag machen, der über entspannende Sprudelbäder hinausgeht.

 

Warum der Jobstress zugenommen hat

Die frustrierende Situation: Personalmangel und Arbeitsverdichtung

Wir haben im Moment nicht mehr nur Fachkräftemangel, sondern glatt Bewerbermangel.

Wenn du einer Erwerbsarbeit nachgehst – oder das getan hast – oder Leute kennst, die das getan haben oder tun – dürftest du mit den Schlagworten Personalmangel und Arbeitsverdichtung recht persönliche Eindrücke verbinden!

Da reduzieren Arztpraxen ihre Öffnungszeiten, weil sie keine medizinischen Fachkräfte finden. Wenn welche schließen, verteilen sich die Patient:innen auf die anderen Praxis, weil keine neuen aufmachen. Mehr Stress in den Arztpraxen. 

Bauprojekte können mangels Arbeitskräften nicht durchgeführt werden.

Arbeitsleben ist heute pauschal mit hohem Stress verbunden. Das ist häufig Überforderung und Überlastung, kann aber auch Unterforderung sein oder einfach zu schwere Arbeit.

 

Schlechte Aussichten

Wir haben aktuell keine Besserung in Sicht aus mehreren Gründen.

Demografische Entwicklung: Die geburtenstarken Jahrgänge haben angefangen, in Rente zu gehen. Das wird in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung ausmachen: „Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) aus dem Mikrozensus 2021 werden 12,9 Millionen Erwerbspersonen bis 2036 das Renteneintrittsalter überschritten haben. Dies entspricht knapp 30 % der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen, bezogen auf das Berichtsjahr 2021.“ Statistisches Bundesamt

Die Folge: Azubis können sich heute die Stellen aussuchen. Handwerk, Gesundheitswesen, zahlreiche Engpassberufe finden zu wenig Nachwuchs. Das sind alles Berufe, die wir als Allgemeinheit dringend benötigen, damit alles reibungslos läuft.

Wegfall von Fachkräften: Die demografische Entwicklung ist aber nur ein Aspekt. Meine Beobachtung: Viele Menschen verlassen ihre bisherigen Berufe, um Unterbezahlung, Stress und Gesundheitsschäden auszuweichen, oder denken darüber nach. Einige Beispiele:

  • In der Pandemie sind Menschen aus Verkauf und Gastronomie als unterbezahlten Stressjobs in andere Bereiche gewechselt.
  • Immer mehr kündigen im Gesundheitsbereich, und sei es einfach, um nach Jahren von Herzrasen und Schlafmangel die eigene Gesundheit zu retten. ÄrztInnen hören früher auf, weil sie gerne noch ihr Rentenalter erleben möchten.
  • Auch im Bereich KinderpflegerInnen, Erzieher:innen und Lehrer/innen besteht ein krasser Mangel, der allgemein bekannt ist.
  • Menschen orientieren sich um, weil sie sich in diesem Arbeitsumfeld nicht mehr sehen und merken, dass sie das nicht Jahre und Jahrzehnte schaffen können.
  • Leute werden endgültig krank, fallen länger aus oder beantragen sogar Erwerbsminderungsrente.

Es ist gruselig, sich vorzustellen, was diese Abgänge in den schon unterbesetzten Berufsfeldern machen.

 

Das heißt für das Individuum: Jobstress dauernd

Im Ergebnis haben viele Bereichen ein zu hohes oder unmögliches Arbeitspensum haben.

Und was tun wir, wenn wir das Gefühl haben, es nicht schaffen zu können? Wir drehen hoch, machen schneller, arbeiten länger. Wir übertreten über längere Zeit hinweg eigene gesunde Grenzen, sehenden Auges.

Viele empfinden Dauerstress. Und das ist schlecht.

 

Mein Mitgefühl für deinen Jobstress

Wenn du irgendetwas davon selbst erlebt, dann möchte ich dir mein Mitgefühl aussprechen. Ich kann mir deine Zerrissenheit und Verzweiflung, die du manchmal empfindest, nachfühlen.

Hier zum Weiterlesen ein Artikel, der Mitgefühl ausdrückt und zu Selbstmitgefühl anleitet: Es tut mir leid, was du durchmachst [Brief von Mitgefühl]

Dauerstress bedeutet Probleme für die Menschen selbst, für ihre Familien, für die Sozialsysteme, und für die Unternehmen.

Also wäre es gut, wenn Arbeitgeber darauf achten, dass wir gesund und leistungsfähig bleiben, um Burnout zu vermeiden.

Logisch, nicht wahr?

 

Überkontrollieren als fatale Strategie von Arbeitgebern

Was ich aber beobachte ist: Manche Arbeitgeber wählen als Strategie zum Umgang mit dem Mangel Druck und Kontrolle. Mehr Vorschriften. Erhöhte Vorgaben. Mehr Dokumentation.

Und eine Haltung von „Das muss gehen“. 

Haarsträubend. Und leider himmelschreiend dumm.

Denn das Mikromanagement, das Nachkarteln und Kontrollieren, das Korrigieren, das Abwerten, Tadeln und Manipulieren haben verheerende Auswirkungen. Mit diesem Verhalten verstärken Führungskräfte nur noch die Gefühle von Angst, Misstrauen und Sorge, die zu unserem Stress beitragen.

Noch mehr Angst und Spannung.

 

Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis immer größer als in der Theorie

Meist richten sich Controlling und Führungskräfte nach „eindeutig“ und „sachlich“ aussehenden Zahlen aus. Am grünen Tisch sieht die Welt so herrlich klar aus. Denn mit den Zahlen lässt sich ja alles steuern, nicht?

Das ist die Welt der Theorie.

Damit gehen sie denjenigen Menschen auf den Wecker, die die eigentliche Arbeit leisten und in der Praxis seit Jahren ihr Bestes geben. Die wirkliche Arbeit wird unter Dokumentationspflichten begraben und ist kaum noch zu schaffen, einfach durch immer mehr Vorgaben von oben.

 

Wenn man die Leute in Ruhe gelassen hätte, wäre es gut weitergelaufen. Sie wissen schon, was sie tun. Sie machen das ja nicht erst seit gestern. Wir finden überraschend kreative Lösungen.

Oder wenn man sie fragen würde, was funktioniert und was nicht. Ihnen zuhören und glauben würde.

Ehrlich – wie clever ist es, die Leistungsträger immer noch zusätzlich zu belasten?

Sehr, sehr unclever. Sie könnten irgendwann die Nase voll haben und gehen, oder krank werden und ausfallen. Dann wird der Personalmangel noch schlimmer, siehe oben.

 

Aber die Kontroll-Genies sehen das nicht. Sie handeln aus Angst vor der nächsthöheren Führungsebene oder der Öffentlichkeit.

Sie handeln aus der Überzeugung: Wenn Kontrolle und Steuerung gut sind, dann ist Übersteuerung noch besser.

Sie handeln aus einer Gutsherrenart und Cheftour heraus, die nicht mehr zur heutigen Zeit passt. Wo sich jüngere Generationen oft schon gar nicht auf diesen Hype einlassen.

 

Mein Vorschlag: Eine Doppelstrategie

Was tun wir mit dem Jobstress?

Das also ist die Landschaft, in der wir uns jetzt befinden. Es nervt. Es stresst.

=> Was machen wir damit?

Jetzt käme normalerweise der Teil, wo über individuelle Maßnahmen gegen den Stress gesprochen wird.

Du weißt schon: Morgenroutine und Abendroutine. Lavendel zum Einschlafen. Kein Kaffee nach 14 Uhr. Auch mal Nein sagen. Und die kleinen Dinge genießen.

Das alles hat seine Berechtigung.

ABER.

 

Bei Jobstress nicht nur persönlich ansetzen

Ich finde es falsch, wenn wir nur von Wannenbädern, Waldbaden und Journaling als Mitteln gegen Stress sprechen. Nur von Resilienz und Psychosomatik, nur von der individuellen Stressreduktion.

Das klingt am Schluss so, als wären Individuen allein dafür verantwortlich, den Stress zu senken.

In einer gesellschaftlichen Situation, die FAKTISCH zu viel Stress macht.

Wenn wir die gesellschaftliche Entwicklung ansehen, die ich oben beschrieben habe, sind Tipps zur Stressreduzierung zu wenig.

Es braucht eine Veränderung der Situation.

Und ich denke, es kann uns auch persönlich stärken, uns gesellschaftlich für eine Veränderung einzusetzen. Das kann uns resilienter machen.

 

Ich schlage daher eine Doppelstrategie vor

  1. Für die eigene Resilienz und das Wohlbefinden ganzheitlich sorgen. UND
  2. Gesellschaftlich agieren und dafür auch widerständig werden.

Wir brauchen beides. Und beides ist eine Reise des persönlichen Wachstums und der Selbsterkenntnis.

Mit unserem eigenen Abenteuer können wir auch gesellschaftlich transformierend wirken. Wir sind nicht alleine. Andere sind in einer ähnlichen Situation, und wir können uns gegenseitig ermutigen und stärken.

 

Abonniere meinen Newsletter, dann informiere ich dich über die nächsten Artikel der Serie.

 

Dauerstress Teil 2: Bin ich burnout-gefährdet?

Dauerstress kann in Burnout münden. An diesen Merkmalen kannst du erkennen, ob du tendenziell gefährdet bist, einen Burnout zu erleiden.

Dauerstress und Burnout-Gefahr erkennen [Dauerstress Teil 2]

 

Dauerstress Teil 3: Persönliche Resilienz stärken – 7 Schritte gegen den Burnout

In diesem Artikel erfährst du, welche persönlichen Strategien dir helfen können, dein Leben vom Zu Viel an Stress wieder in eine gesündere Bahn zu lenken.

Resilienz stärken – 7 kraftvolle Schritte [Dauerstress Teil 3]

 

Dauerstress Teil 4: Wachsen und Widerständigkeit entwickeln

In diesem Artikel schreibe ich darüber, wie wir mit mehr Augenhöhe und Autonomie an der gesellschaftlichen Entwicklung mitwirken, die den Jobstress hoffentlich im Laufe der Zeit reduziert.

 

Tausend Dank an die Künstlerin Bahissat, die mir diese Grafik in 3D extra für den Artikel gestaltet hat!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert