Träumende Gestalten jenseits der Zeit – Die Skulpturen von Antje Tesche-Mentzen

Diesen Sommer lernte ich das Werk einer ganz besonderen Bildhauerin kennen: Antje Tesche-Mentzen.

Und das kam so: Die Stadt Ansbach gönnt sich und ihren Bürgerinnen und Bürgern alle zwei Jahre eine Skulpturenmeile. Für drei Monate werden bildhauerische Werke im öffentlichen Raum ausgestellt und können kostenlos besichtigt werden.

Die Skulpturen bewohnen sozusagen den städtischen Lebensraum, den markgräflichen Hofgarten und die Innenstadt. Nun stellte in 2019 das erste Mal eine weibliche Künstlerin alleine aus.

Ich besuchte in Ansbach träumende Gestalten jenseits der Zeit. Und ich habe mich verliebt in die meist weiblichen Persönlichkeiten. Begleite mich auf einer einzigartigen Bilderreise.

Nana

 

Auf der Webseite der Stadt Ansbach lesen wir:

„Rund zwanzig Bronzeplastiken der renommierten Bildhauerin Antje Tesche-Mentzen werden die Ansbacher Innenstadt vom 13. Juli 2019 an drei Monate lang in einen ganz besonderen Skulpturenpark verwandeln. Mit großformatigen Skulpturen, oft mythischen Ursprungs, zeigt sie ihre Liebe zu Natur und Musik.

‚Die Kunst als Vermittlerin zwischen dem Irdischen und dem Ewigen. Skulpturen sind wie musikalische Harmonien, sie sind Musik aus Bronze‘, so erläutert die vielseitige Künstlerin ihre kreative Vorstellung.“ (Webseite Stadt Ansbach Skulpturenmeile 2019, 29.09.19)

Es folgt meine höchst subjektive Sicht auf die Ausstellung, geprägt durch meinen typischen Blick im Queste Blog – Logbuch Schöpferische Reise.

 

Besuch aus einer anderen Zeit

Wie aus einer anderen Zeit kommen die Figuren von Antje Tesche-Mentzen zu uns.

Hoffnung, Daphne, Lilith und Arabella

Da stehen sie im Park, als wären sie immer dagewesen. Leuchten in der Mittagssonne, glimmen im Abendlicht, wirken durch die – oft leuchtend polierte – Bronze immer wieder anders.

Lilith

Wie Königinnen stehen sie da.

Zum Anfassen nah, körperlich präsent, ganz real.

Ich möchte sie ehrfurchtsvoll streicheln.

Und tue es auch.

Lilith in der Abendsonne

Die Figuren weisen Schwünge und wellenförmige Kurven auf, weiche, feine Stellen, glatt und geschmeidig.

Eine einzigartige Form von Schönheit.

Lilith

Das Geschmeidige kontrastiert mit grob gehauenen Bereichen, drahtigen Haaren, Stellen wie Rinde oder Borke, wie Stein oder Metall.

Hoffnung

Hoffnung

Wie würde ich sie beschreiben? Anmutig, nach innen gewandt, erhaben, sinnlich, zart, majestätisch.

 

Gut integrierte Empfindsamkeit

Um sie wirklich zu verstehen, muss ich in ihre Gesichter sehen und ihren Ausdruck erkennen.

Mir fällt auf: Viele Figuren haben die Augen geschlossen, sind im wörtlichen Sinne intro-vertiert – haben den Blick auf ihre Innenwelt gerichtet.

Um mit dem Queste Blog zu sprechen: Diese Frauengestalten wirken verträumt und sensibel, in ihrer eigenen Welt. Dabei aber scheinen sie zugleich in sich selbst gut verankert.

So gut geschützt und selbstbewusst, dass sie es sich leisten können, im öffentlichen Raum die Augen zu schließen.

Traum durch die Dämmerung

So könnte eine gut integrierte Sensibilität aussehen, nach denen viele von uns zarteren Gemütern streben in einer zu lauten Welt!

Dem alltäglichen Kontakt sind sie entrückt, wie hier Daphne, die sich den Zugriffen Apollos entzogen hat, indem sie zum Baum wurde, also eine andere Wirklichkeitsebene wählte:

Daphne

So können diese Skulpturen und das, was die Künstlerin tut, eine Vorbildfunktion für uns übernehmen in unserem Bestreben, in der Welt mit unseren Gefühlen und Träumen verbunden zu bleiben.

 

Oder der Blick geht in die Weite.

Wenn die Augen geöffnet sind, blicken die Figuren wie von Ferne, in ihrer eigenen Wirklichkeit versunken.

Sie wissen mehr, als sich beim Betrachten gleich erschließt, stammen aus einem anderen Bezugssystem.

Maternità

Maternità

Vision

Ihre Wahrheit oder Vision ist dabei nicht vollständig, sondern offen für Änderungen – sozusagen nach oben offen.

 

Ein feines Lächeln

Und neben der vertieften Ernsthaftigkeit immer wieder dieses verklärte Lächeln.

Am auffälligsten hier bei der Skulptur, die es schon im Namen trägt:

Das große Lächeln

Doch ich finde es bei näherer Betrachtung in vielen Gesichtern wieder:

Hoffnung

Die Züge haben mehr von einem Idol als von einem Menschen oder einer realen Frau.

Wie bei Statuen von Göttinnen geht es offenbar nicht um ein wiedererkennbares Individuum, sondern um ein Prinzip, dem wir nachspüren können.

Für mich als Träumerin wunderbare Begegnungen.

 

Musik aus Bronze

Viele der Skulpturen sind, so lese ich, musikalisch inspiriert. Und haben wiederum Komponisten zu Musik inspiriert, „bildende Kunst zum Klingen bringen“, wie Komponist Wilfried Hiller es ausdrückt – er hat inzwischen 70 Kompositionen zu den Skulpturen der Künstlerin komponiert. Hier zwei Beispiele in YouTube:

Musik aus Bronze, so hat die Künstlerin selbst sie beschrieben.

Ich kann die musikalischen Schwingungen nicht hören, aber sehen und fühlen.

Und mit den Figuren mitschwingen.

Es scheint, als habe ich auf solche gültigen Gestalten gewartet. Verzückt suche ich ihre Nähe.

 

Details entdecken

Im Kleinen gibt es zahllose Details zu entdecken:

 

Kunst in 3D erleben

Im Großen wirken die Figuren lebendig in Bezug mit ihrer Umgebung.

Um die Figuren herumzugehen, erhöht meine Bezogenheit beim Betrachten noch:

Die Skulpturen sind 3D, der Raum ist es ebenso – und ich auch.

 

Alle Skulpturen wollen von allen Seiten betrachtet werden.

Manche haben ausgeprägt unterschiedliche Vorder- und Rückseite oder gar zwei Gesichter, wie hier die Harmonie, wo eine Seite schläft und eine wacht:

Manche weisen wie Orpheus neben Details an den Seiten und hinten noch eine Innenseite auf, die zum Gesamtbild gehört.

Orpheus

Orpheus

Orpheus, Detail

Orpheus ganz nah

Meine eigene Bewegung wird zum Teil der künstlerischen Wahrnehmung, Teil der Kunstform.

Ich setze mich fortwährend neu in Bezug. Das Bild verändert sich mit jedem Schritt.

Ich wechsle zwischen Gesamtansicht und starkem Zoom hin und her:

Das Hohe Lied der Liebe

Das Hohe Lied der Liebe, Gesicht

Das Hohe Lied der Liebe, Detail

Das Hohe Lied der Liebe, Detail

Und ich empfinde, dass diese Figuren träumen.

 

Sie träumen von einer anderen Zeit.

Von welcher Zeit träumen sie? Liegt sie in der Vergangenheit?

In mythischen Märchenwelten, in der germanischen oder griechischen Vorzeit oder noch älteren Sagenwelten, von denen diese womöglich künden?

Gaia – Weltenmutter

Erda – Weltenmutter (Nachmittagslicht)

Vielleicht träumen sie aber auch von einer Zukunft, die offen ist für diese Form von Schönheit, für eine weibliche Ikonographie.

Offen für Frauenfiguren, die für sich stehen, im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zugleich inwärts gewandt und selbstbewusst.

Jenseits jeglicher Kritik einfach da.

Erda – Weltenmutter (Abendlicht)

Sie sind sich selbst genug, brauchen niemanden zu ihrer Bestätigung.

Ganz auf sich bezogen ruhen sie im Spürbewusstsein des Körpers.

Die meisten Figuren haben keine (betonten) Arme: Sie tun nichts, sie sind da, ohne machen zu müssen.

Wie in einer nachdenklichen oder tänzerischen Pose verharrend. So hier Arabella in hingebender Haltung, die (wie die Bildhauerin wissen lässt) keine Arme braucht, um innig zu lieben:

Arabella

 

Mit Antje Tesche-Mentzen möchte ich fragen: „Darf Kunst auch schön sein?“

Für mich ja. Und auch für die Menschen, denen ich bei den Figuren begegnet bin und von denen ich begeisterte Äußerungen gehört habe.

Wer ist die Künstlerin, die das alles erschaffen hat?

 

Tesche-Mentzen: Vielseitige Ausbildung

Allein die Liste der Studiengänge im Flyer liest sich eindrucksvoll. Vielleicht stammt die Unabhängigkeit der Künstlerin gerade aus ihrer Vielseitigkeit?

Frau Tesche-Mentzen hat folgende künstlerische Ausbildungen durchlaufen:

  • Stipendium für Malerei bei Werner Rieger in Kiel (Hochbegabtenförderung)
  • Balletstudium bei Kora Montez und Margarete Hasting in München
  • Gesangsstudium bei Elisabeth Hallstein und an der Musikhochschule München (Hochbegabtenförderung).
  • Ausbildung in Keramik bei M. Wehner und E. Bomblies in München.

(Entnommen dem Flyer Skulpturenmeile Ansbach 2019, hier herunterzuladen.)

 

Vielseitigkeit als künstlerisches Merkmal

Wer den Queste Blog schon länger liest, erkennt diese Liste vielleicht als eine typische Liste vielfach interessierter Menschen, wie in diesem Artikel beschrieben: Zu viele Interessen? Oder von Natur aus vielseitig? [Scanner, Renaissance-Mensch]

Ich nehme an der gut einstündigen Kunstführung teil und erfahre: Als Tesche-Mentzen sich auf eine Kunstform spezialisieren musste, wählte sie die bildende Kunst. Seit 1973 arbeitet die Künstlerin in eigener Werkstatt, wo sie Skulpturen und Gemälde erschafft.

Ich denke mir: Vielleicht haben die Figuren gerade deshalb solch körperliche, sinnliche Präsenz, weil die Bildhauerin auch singen und tanzen gelernt hat?

Und verschiedene Felder von Kreativität können einander immer befruchten. So können sich das Malen, die Keramik und die Bronze gegenseitig beeinflussen. Jede Figur wird erst als Keramik hergestellt, aufwändig in Bronze gegossen und zuletzt wieder als Unikat bearbeitet, geschliffen und bemalt.

Ermutigend für vielseitig kreative Menschen, ihr eigenes Vorgehen zu erfinden.

Die Königin der Nacht

Die Königin der Nacht

 

Antje Tesche-Mentzen, eine unabhängige Künstlerin

Während ich das alles erfahre und betrachte, denke ich: Was für ein Glück, dass diese Künstlerin es sich leisten kann, ganz nach ihren Vorstellungen zu arbeiten und ihre inneren Träume als sehr konkrete Bronzegestalten im Außen zu realisieren!

Tesche-Mentzen ist von keiner akademischen Anerkennung abhängig, die sie jedoch trotzdem genießt. Sie hat schon zahlreiche Ausstellungen realisiert und enthusiastische Besprechungen erhalten.

Doch die wichtigste Bestärkung ist wohl die Kunst selbst:  

Ein Exemplar von jeder dieser Bronze-Persönlichkeiten steht immer im Atelier-Garten der Künstlerin. Und wenn es verkauft wird, produziert sie ein neues, das durch die Bemalung und Patina wieder ein Unikat ist.

Vom 13. Juli bis 13. Oktober ist der Garten recht leer, wie die Kunstführerin erzählt, denn die träumenden Gestalten befinden sich ja in Ansbach.

Anima Mundi – Weltseele

 

Kreativität als Beziehung zur Welt und sich selbst

Was mich besonders anspricht an diesem Werdegang:

  1. Die Vielseitigkeit und mehrfache Ausbildung;
  2. die integrierte Zartheit und träumerische Sicherheit;
  3. die frühe Sicherheit über den einzuschlagenden Weg; zum Beispiel mit 14 Jahren schon als Stipendiatin Malerei zu erlernen; zudem führt Tesche-Mentzen in München „schon seit 1962 Deutschlands älteste Kinder-Malschule und unterrichtet Kinder ab drei Jahren in Malen, Töpfern und Werken“ (Wikipedia, 06.10.2019).
  4. und dann die Konsequenz, über so lange Zeit hinweg dem ureigensten Weg zu folgen und aus sich selbst heraus Kunst zu erschaffen!

In diesem Fall aus einem schweren Material und mit großen Figuren, wie sie wenige verwenden oder beherrschen.

Was für ein Gefühl muss es sein, aus einem Gedanken, einer traumartigen Idee, einer Skizze ein solches Kunstwerk zu erzeugen?

Es dann dreidimensional vor sich zu haben, es zu umrunden?

Sphinx

Sphinx aus der Nähe

 

Das Credo von Antje Tesche-Mentzen

Vielleicht können wir aus dem Credo der Künstlerin für uns etwas entnehmen. Ich zitiere es hier wie dem Ausstellungsflyer entnommen. Im Idealfall kann es unsere eigenen Vorstellungen ausschärfen:

 

Kunst ist eine Mischung aus Geist und Handwerk. Man sollte sein Handwerk beherrschen, um hiermit die Materie in Geist zu verwandeln.

Wichtig ist auch, dass ein Kunstwerk (Musik, Literatur, Poesie, Bildende Kunst) die Seele berührt. Nur die beseelte Form behält ihre faszinierende, sich nie erschöpfende Kraft über Jahrhunderte. Kontinente überspringend bleibt sie ein energiespendendes Erlebnis.

Ich versuche, mich dieser Herausforderung anzunähern. Ob es gelingt – weiß man später.

Ich bevorzuge mystische, transzendente Themen, die immer gegenwärtig sind und nicht dem kurzfristigen Zeitgeist unterworfen.

Die meisten meiner großen Skulpturen entstanden ohne Auftrag. Ich bin frei – und mache nur das, was mich persönlich an- und aufregt.

Meine Anregungen empfange ich immer wieder durch starke Naturempfindungen; durch Musik und Literatur, die ich in meine Arbeiten integriere.

(Antje Tesche-Mentzen)

 

Vision

 

Künstlerische Freiheit

Wie entsteht Kunst?

Ich bin überzeugt: Jede Person, die etwas Kreatives macht, drückt ihre eigene Beziehung zur Welt und zu sich selbst in ihren kreativen Prozessen und Produkten aus.

Die kreative Person ist frei im Gestalten und Wählen. Des Themas, des Materials, der Darstellung.

Berufsmäßige KünstlerInnen intensivieren diesen Prozess noch, indem sie ihm ihre ganze Berufstätigkeit und damit viel Zeit widmen.

Sie geben dem Erschaffen einen hohen Platz in der Prioritätenliste des Lebens. Und erwerben spezialisierte Fähigkeiten, beherrschen ihr Handwerk, durchdringen ein Thema bzw. eine Kunstform.

Gut für uns, wenn KünstlerInnen ihre Ergebnisse mit uns teilen – wir brauchen das Geschenk nur anzunehmen und uns davon ansprechen und inspirieren zu lassen!

Faun

 

Und daraus leite ich wieder die typische Queste-Frage ab, die ich mir stelle (und dir als Leserin oder Leser mitgebe): Was will ich in die Welt bringen?

Vielleicht willst du dich das auch fragen:

 

Was willst du in die Welt bringen?

  • Welche Kunst oder welches Werk will das Licht der Welt erblicken, durch dich geschaffen?
  • Womit willst du spielen, wovon dich ansprechen lassen, was zum Ausdruck bringen?
  • Was würdest du tun, wenn du ganz frei wärest und keine Vorgaben hättest?
  • Was berührt deine Seele so, dass es dir Energie spendet?
  • Was schlummert da vielleicht noch und braucht die entsprechende Förderung von dir, um herauskommen zu können?
  • Welchen Ideen willst du mehr Raum geben, indem du sie ernst nimmst und verfolgst, um sie zu materialisieren?
  • Welches Handwerk willst du dir aneignen, um mit deinem Geist die Materie zu formen?

 

Viel Inspiration und gute Umsetzung wünscht herzlich

Jana Lindberg

 

Credits

Alle dargestellten Figuren sind von Antje Tesche-Mentzen.

Alle Fotos wurden von Jana Lindberg (c) gemacht.

Vielen herzlichen Dank an Frau Tesche-Mentzen für die Erlaubnis, die Fotos ihrer Figuren für diesen Artikel zu verwenden!

 

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Jana Lindberg: Träumende Gestalten jenseits der Zeit. Die Skulpturen von Antje Tesche-Mentzen.pdf

 

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