Zeichnen und Meditation: Was haben sie gemeinsam?

Was haben Zeichnen und Meditation gemeinsam? Sehr viel sogar. Dieser Artikel kann interessant für dich sein, wenn du:

  • schon immer zeichnen wolltest (oder wieder damit anfangen), oder wenn du
  • darüber nachgedacht hast zu meditieren, oder wenn du
  • dich in einem von beidem verbessern oder wieder einsteigen willst,
  • oder dich einfach mal darüber informieren.

Oder wenn du deine Ängste beruhigen möchtest!

Es könnte also relevanter für dich sein, als du denkst. Lass mich erklären. Ich beschränke mich auf drei Punkte:

  1. Gehirnmodus: Wir wechseln mit Zeichnen und Meditation zur rechten Gehirnhälfte.
  2. Unendliches Ziel: Wir streben mit beidem ein nach oben offenes Ziel an, was besondere Belohnungen und Herausforderungen mit sich bringt.
  3. Gegenseitige Verstärkung: Wir können die beiden Beschäftigungen einander unterstützen lassen.

Es geht los:

 

1. Wechsel zur anderen Gehirnhälfte

Wir wechseln mit Zeichnen und Meditation den Modus unseres Denkens. Ich schrieb über die rechte Gehirnhälfte bereits in Gedichte, Botschaft von der anderen Seite des Gehirns.

Die linke Gehirnhälfte steuert die rechte Körperseite. Sie ist zuständig für Angstreaktionen (innere Warnungen), für Sprache und Vernunft, für die Kontrolle im Leben. Für Rechnen, Abstraktion, Ordnung und Reihenfolge.

Ohne sie könnten wir nichts erledigen! Also sind wir verflixt froh, sie zu haben.

Doch sie ist auch zuständig für richtig und falsch, für Bewertungen und Vergleiche. Für den Rotstift und die Abwertung.

 

Leider ist unsere Kultur so sehr auf die linke Gehirnhälfte konzentriert, dass die anderen Qualitäten zu kurz kommen.

Denn es gibt da noch die rechte Gehirnhälfte, welche die linke Körperseite steuert. Sie verarbeitet die Realität vollständig anders: Intuitiv, ganzheitlich, bildhaft, assoziativ. Zeitlos, floatend, spürsam.

Im Grunde könnten wir sagen, dass wir zwei Gehirne haben, die miteinander verbunden sind.

 

Zeichnen und Hirnforschung

In ihrem berühmt gewordenen Buch „Garantiert zeichnen lernen. Das Geheimnis der rechten Hirn-Hemisphäre und die Befreiung unserer schöpferischen Gestaltungskräfte“ griff Betty Edwards vor 40 Jahren die ganz frische Hirnforschung auf und übertrug sie auf das Zeichnen. Sie schreibt:

„Ein wichtiges Ergebnis dieser (…) Untersuchungen ist die Erkenntnis, daß wir – unbeschadet unseres Empfindens, eine Person zu sein – mit einem Gehirnpaar ausgestattet sind und daß jede der beiden Hälften ihr eigenes Erkenntnisvermögen, ihr eigenes Wissen, ihre eigene Wahrnehmungsweise besitzt. Mit anderen Worten: in jedem von uns existieren zwei geistige Welten, zwei verschiedene Bewußtseinsformen“. (dt. Ausgabe Hamburg 1989, S. 46)

Wenn wir in Ängsten und Bewertungen festhängen, denken und leben wir vorrangig mit der linken Gehirnhälfte. Wir sind schnell und sehen sozusagen grob überschlägig. Das Symbol, das Zeichen reicht uns. Wir brauchen und sehen keine Details.

Da genügt ein kurzer Blick, um zu erkennen: „Ah, Baum“ oder „Auto“ oder „Verkehrsschild“. Wir gucken einfach nicht genau hin.

Auch Menschen inklusive uns selbst schauen wir flüchtiger an.

 

Wirklich sehen lernen mit der rechten Gehirnhälfte

Wenn wir wirklich sehen wollen, was vor uns ist,

wenn wir wirklich spüren wollen, was in unserem Körper vorgeht,

dann brauchen wir die andere Gehirnhälfte, die rechte.

Das Wahrnehmen und Annehmen, zu dem diese Seite fähig ist: Es ist in jeder Person angelegt, die zwei funktionierende Gehirnhälften hat!

 

Auch wenn wir vielleicht aktuell keinen genügenden Zugang haben – wir können ihn wiedergewinnen. Es ist Teil unserer Hardware, unseres natürlichen Zuschnitts.

Genau das Sehen, Spüren und Wahrnehmen selbst können uns dabei helfen, wieder Zugang zu bekommen.

Das kann unser Leben verschönern und bereichern, es voller und ganzer machen.

 

Was bringt uns die rechte Gehirnhälfte?

  • Sie ist reine Wahrnehmung. Wir spüren den Körper strömend, ohne Grenzen.
  • Wir können Verbundenheit spüren.
  • Sie macht langsam und zeitlich ungebunden.
  • Sie stoppt Ängste.

Deshalb denke ich, dass die Übung von Zeichnen und Meditation gleichermaßen auch therapeutischen Nutzen haben kann.

Wie könnten wir einfädeln? Egal, was wir noch tun:

Am besten starten wir mit drei tiefen, bewussten, entspannten Atemzügen.

Und dann gucken wir hin.

 

Was kann uns beim Umschalten helfen?

Allein schon 10 Sekunden auf etwas zu blicken, bis wir Details wahrnehmen, die uns vorher unsichtbar waren, aktiviert die rechte Gehirnhälfte.

Oder auf die Zwischenräume zwischen Dingen zu achten, anstatt auf die Form der Dinge selbst.

Auf die Farben zu schauen (zum Beispiel nach roten Dingen im Zimmer zu suchen, nach blauen, nach grünen …) kann uns umfokussieren.

All dies hilft beim Sehen für das Zeichnen. UND ist zugleich schon eine Meditationsform.

Wir sehen: Über die Art der Wahrnehmung sind Zeichnen und Meditation eng miteinander verwandt.

Ich schrieb darüber den Artikel: Sehen ist ein kreativer Akt. So leicht ist es, in einen schöpferischen Zustand zu kommen

 

Nun, wir möchten also die rechte Gehirnhälfte aktivieren und dafür Zeichnen und Meditation oder eines davon ausprobieren.

Wie gehen wir es an? Es ist nämlich speziell: Keine abgeschlossene Aufgabe, die man nach kurzer Zeit im Kasten hat.

Sondern eine nach oben offene Lernaufgabe, und dadurch besonders interessant und belohnend.

 

2. Zeichnen und Meditation: Ein offenes, unendliches Ziel

Wir streben ein nicht begrenztes, ein unendliches Ziel an. Das sind Ziele mit besonders viel Sinn-Erleben. Aber sie brauchen eine passende Lernstrategie und Geduld.

Unsere übliche Denkweise müssen wir dafür hinterfragen. Wie?

 

Nicht bewerten, sondern tun

Ein paradoxes Ziel! Wenn es mir wichtig ist, will ich doch auch, dass es gelingt? Zum Beispiel:

  • Ich will besser zeichnen lernen. Das ist schon lange ein Wunsch von mir, seit Teenagerzeiten. Es ist meine Motivation. Aber … um besser zu werden, muss ich es regelmäßig tun. Und während ich es tue, sollte ich das „gut“ und „schlecht“ und „besser“ weglassen, sondern nur sehen und machen. Obwohl ich es anstrebe, sollte ich es beim Üben vergessen.
  • Ebenso ist es beim Meditieren: Natürlich möchte ich durch die Meditation Zustände von Ruhe und Frieden erreichen. Doch wenn ich beim Meditieren dauernd denke „Bin ich schon da?“, dann werde ich nur frustriert. Beim Meditieren selbst geht es nicht um das „besser“ und „Lernen“, sondern um das Erfahren im Augenblick.

Doch genau das Nicht-Wertende ist ja so ungewohnt …

Diese paradoxe Aufgabenstellung haben also Zeichnen und Meditation gemeinsam. Wie können wir das angehen?

 

Lernweg akzeptieren

Die Möglichkeiten, was wir erreichen können, sind nach oben offen:

Es gibt so viele Menschen, die Meditation gelernt haben und tiefen Frieden dabei finden – und so viele Menschen, die fantastisch zeichnen können.

 

Es hat keinen Sinn, sich mit ihnen zu vergleichen. Mit denen, die 10.000 Stunden Meditation geübt haben. Mit Dürer oder da Vinci.

Ich glaube, darüber stolpern wir alle immer wieder! Immer dieses Vergleichen.

Deshalb schreibe ich es so ausdrücklich hin: Es hat nur Sinn, den eigenen Lernweg Schritt für Schritt zu machen.

 

Denn auch unser Gehirn wird sich mit der Praxis den neuen Erfahrungen anpassen und sich verändern. In die neue Richtung.

Schon wenige Wochen verändern unser Gehirn. Auf unserem eigenen Weg.

Wie lange es dauert? Egal. Wir sind auf dem Weg. Das reicht.

Es wird! Am Anfang hakt es. Das gehört dazu.

 

Kniffliger Start

Wenn es uns am Anfang nicht gelingt, uns auf unserem Lernweg zu akzeptieren … Das ist völlig normal.

Das geht allen so. Es ist das typische Anfangshindernis. Wir leben nun einmal in einer vergleichenden, leistungsorientierten Gesellschaft und sind von ihr geprägt worden.

Es wird besser werden mit jedem Mal, wo die Akzeptanz gelingt. Das baut neue Gehirnverbindungen auf, die es mit jedem Versuch leichter machen.

Leichter machen und dranbleiben, das ist der Schlüssel:

 

Zeichnen und Meditation zum Teil des Lebens machen

Machbare Portion

Das angestrebte Pensum soll machbar sein, also klein genug. Machbare Vorgaben, das sind zum Beispiel: „Eine Zeichnung am Tag“, „3 Minuten Meditation am Tag“, „Ein Gedicht am Tag“.. Und sie verändern etwas. Versprochen.

(Übrigens reicht fünf Mal die Woche, um es „täglich“ zu nennen. So wird es in der Verhaltenstherapie definiert, um Frust zu vermeiden.)

 

Regelmäßigkeit

Die Tätigkeit soll regemäßig vorkommen, so dass der Aufwand, es auch wirklich zu tun, immer geringer wird. Einfach weil das eigene Körper-Seele-System sich daran gewöhnt hat, dass es kommt.  

Es wird „normal“ und erzeugt weniger Aufregung, mehr Wohlgefühl. Etwas, das immer so ist, wird besonders leicht.

 

Ideal: Ein fester Platz im Leben

Ganz leicht wird es, wenn diese Tätigkeit einen festen Platz im Alltag einnimmt. Zum Beispiel „Nach dem Frühstück vor der Arbeit meditiere ich fünf Minuten.“ Oder „Wenn ich heimkomme“ oder „Nach dem Abendessen“ oder „Auf meinem Spaziergang“ … Wenn wir es koppeln, wird es besonders glatt uns sicher. Aber das ist nur das Sahnehäubchen. Hauptsache, es kommt überhaupt vor.

 

Den Weg genießen

Um es zu verankern, ist es gut, wenn wir es gern machen. Egal ob wir zeichnen oder meditieren, es soll eine angenehme Erfahrung sein. Wie geht das?

  • Das Schöne daran können wir genießen.
  • Das, was uns nicht gelungen ist, können wir hinnehmen als Teil des Weges.

Damit verstärken wir eine Gewohnheit. Wir trainieren unser Nervensystem in der Richtung von Zeichnen und Meditation.

 

Genau das üben

Ich bewerte aber trotzdem jedes Mal?

Ja … So sind wir nunmal. Teil des Weges ist, diese Gedanken ebenfalls mit Milde wahrzunehmen und zum eigentlichen Fokus zurückzukehren.

Vielleicht brauchen wir auch Selbstmitgefühl für die innere Erfahrung von Kritik, die wir gespeichert haben.

 

Wir haben gesehen, wie ähnlich Zeichnen UND Meditation sind und wie wir sie üben könnten. Und jetzt möchte ich noch drauf schauen, wie sie sich gegenseitig verstärken:

 

3. Beide Beschäftigungen unterstützen sich gegenseitig

Wir können die beiden einander verstärken lassen.

 

Meditationsübung vor dem Zeichnen: Schulung der Sinne

In seinem Buch „Die Magie des Zeichnens“ leitet Illustrator und Zeichenlehrer Cliff Wright eine Meditation von 2 Minuten an. Diese soll immer vor dem Zeichnen ausgeführt werden.

Cliff Wright schreibt, wenn er beim Zeichnen merkt, dass er nicht mehr richtig sieht, dann macht er diese Übung, dann sieht er wieder! Willst du sie gleich ausprobieren? Sie ist wirklich leicht, kurz und angenehm:

Die Meditation heißt Aus der Stille heraus zeichnen. Sie geht so:

  1. Entspannte, offene Haltung: Sich auf einen Stuhl setzen, Füße nebeneinander auf dem Boden, Hände ruhen im Schoß.
  2. Körper wahrnehmen. Augen schließen und Aufmerksamkeit auf den Körper lenken: die Sitzfläche, die Füße auf dem Boden. Anspannung bewusst machen uns loslassen. Auf die Gedanken achten, wo sie so sind.
  3. Luft auf dem Gesicht: Wahrnehmung darauf konzentrieren zu spüren, wie die Luft über das Gesicht streicht. „Lassen Sie zu, dass Sie die Subtilität dieses Gefühls empfinden.“ Wenn der Geist abwandert, sich erneut auf die Luft auf dem Gesicht konzentrieren. 
  4. Geruchssinn: Aufmerksamkeit auf den Geruchssinn verlagern und die Gerüche der Umgebung wahrnehmen. „Spüren Sie, dass die Luft, die Sich durch die Nase einatmen, kühler ist als die beim Ausatmen.“
  5. Hörsinn: Sich auf das Hören konzentrieren, die Geräusche im Zimmer, ohne sie zu werten oder zu benennen. Dann über den umgebenden Raum hinaushorchen und auch die fernsten, leisesten Geräusche aufnehmen.
  6. Geräusche und Stille: „Lassen Sie diese Geräusche einfach aus der Stille, aus der sie kommen, an- und abschwellen. Lauschen Sie einige Augenblicke lang nur. Hören Sie genau hin.“
  7. Zurückkehren: Sachte die Augen öffen, sich nur auf das Sehen konzentrieren. Formen und Farben auf sich zukommen lassen, anstatt über sie nachzudenken.

„Jetzt sind Sie zum Zeichnen bereit.“

 

Sinnesmeditation ermöglicht Zeichnen.

Zeichnen wirkt wie eine Meditation, wenn wir einfach nur sehen. Und wenn wir nur unsere Tasse abzeichnen, eben irgendetwas, was vor uns steht. Wahrnehmen außerhalb der Zeit.

So verstärken sich Zeichnen und Meditation gegenseitig.

 

Wie anfangen?

Du brauchst:

Ein persönliches Ziel, eine Motivation oder einen Wunsch.

Deine eigene Neugierde

Ein kleines, machbares Ziel, das du probieren willst.

Regelmäßigkeit.

Und Milde.

 

Viel Freude wünsche ich dir.

Deine Jana

 

Du willst weiterlesen?

 

Räumliche Wahrnehmung als Entspannungsform

Auf den Raum zwischen uns und den Dingen um uns herum zu achten, kann eine eigene Form von Entspannung oder Meditation sein.

Dafür brauchen wir überhaupt keine Bilder, nur räumliches Sehen: Wie weit bin ich von der Lampe weg, vom Tisch, vom Schrank, vom Blumentopf? Einfach wahrnehmen. Diese Art zu sehen ist beruhigend, aktiviert den entspannenden Vagusnerv und verlangt uns wenig ab.

Anne-Barbara Kern hat dazu einen interessanten Blog-Artikel geschrieben: Open Focus – Entspannung in der Erfahrung des Raums. Über die Wahrnehmung vom Raum als Entspannungstechnik.

 

Weitere Artikel, die dich interessieren könnten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert